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Fussball

Geschichte

Deswegen ist es auch so erstaunlich, dass das LWL-Indus-

triemuseum diese zentralen Kapitel der Geschichte des

Ruhrgebiets zum ersten Mal in einer Ausstellung aufgreift.

Hier, wo der Begriff „Schmelztiegel“ noch unmittelbar in

seiner Doppelbedeutung verstanden wird. Schon vor dem

ersten Weltkrieg bildete sich rund um die Berggruben eine

proletarisch geprägte polnischsprachige Bevölkerung von

bis zu 400.000 Menschen, dazu 150.000 bis 200.000 Masu-

ren. In Sichtweite der Fördertürme schlossen die Bergleute

sich zu Mannschaften zusammen und gründeten Vereine,

die noch heute einen guten Klang haben. Eine Generation

zuvor war das Fußballspiel von englischen Ingenieuren

und jüdischen Kaufleuten ins Deutsche Reich getragen

worden. 1934 gewann mit dem FC Schalke 04 der erste

Ruhrgebietsclub die deutsche Meisterschaft. Mit Spielern,

die selbst einst unter Tage malocht hatten. Später wurde

die Region zu einer Herzkammer des deutschen Fußballs.

Und gleichzeitig zu einem Experimentierfeld von Migrati-

on, Integration und politischen Ideologien: Kaum waren

die Jubelschreie 1934 verklungen, entbrannte ein hefti-

ger Streit zwischen polnischen und deutschen Zeitungen

darüber, ob denn die mehrheitlich aus Ostpreußen stam-

menden, in Gelsenkirchen geborenen Schalker Spieler nun

„Polen“ oder „Reichsdeutsche“ seien.

Reichlich Stoff für eine Ausstellung also. Der Politikwis-

senschaftler Daniel Huhn und der Sozialwissenschaftler

Stefan Metzger hatten schon 2011 die Idee, entwickelten

mit Museumsleiter Dietmar Osses ein Konzept und fan-

den mit dem Dokumentationszentrum und Museum über

die Migration (Domid), dem Fonds Soziokultur und der

DFB-Kulturstiftung die passenden Förderer. Schließlich ist

das Thema Integration auch und gerade für den DFB und

seine Vereine seit Jahren ein zentrales Zukunftsthema, do-

kumentiert u. a. durch den seit 2007 jährlich vergebenen

DFB-Mercedes-Benz-Integrationspreis.

Region im Wandel:

Auf die „Ruhrpolen“ folgen die

„Gastarbeiter“

Die Ausstellung schlägt einen Bogen von den 20er-Jahren

bis in die Gegenwart. Unter den 150 Exponaten befinden

sich auch Bilder, Trikots und Medaillen von Ernst Kuzor-

ra und Mesut Özil. Zwei Spieler, die auf den ersten Blick

Welten trennen. Kuzorra, geboren 1905, arbeitete noch als

Bergmann. Weltmeister Özil ist Star in den sozialen Netz-

werken. Dennoch: Beide wurden in Gelsenkirchen geboren,

waren Fußballidole ihrer Zeit und stammen aus Zuwande-

rerfamilien. Kuzorras Eltern kamen aus Masuren, die Özils

verließen die türkische Schwarzmeerküste und fanden ihr

neues Zuhause im Ruhrgebiet.

Fußball und Migration

haben nach Kohle und

Stahl das Leben im

alten Ruhrgebiet

am meisten geprägt.

Fritz Pleitgen,

Kurator der DFB-Kulturstiftung