

29
Fussball
Geschichte
Deswegen ist es auch so erstaunlich, dass das LWL-Indus-
triemuseum diese zentralen Kapitel der Geschichte des
Ruhrgebiets zum ersten Mal in einer Ausstellung aufgreift.
Hier, wo der Begriff „Schmelztiegel“ noch unmittelbar in
seiner Doppelbedeutung verstanden wird. Schon vor dem
ersten Weltkrieg bildete sich rund um die Berggruben eine
proletarisch geprägte polnischsprachige Bevölkerung von
bis zu 400.000 Menschen, dazu 150.000 bis 200.000 Masu-
ren. In Sichtweite der Fördertürme schlossen die Bergleute
sich zu Mannschaften zusammen und gründeten Vereine,
die noch heute einen guten Klang haben. Eine Generation
zuvor war das Fußballspiel von englischen Ingenieuren
und jüdischen Kaufleuten ins Deutsche Reich getragen
worden. 1934 gewann mit dem FC Schalke 04 der erste
Ruhrgebietsclub die deutsche Meisterschaft. Mit Spielern,
die selbst einst unter Tage malocht hatten. Später wurde
die Region zu einer Herzkammer des deutschen Fußballs.
Und gleichzeitig zu einem Experimentierfeld von Migrati-
on, Integration und politischen Ideologien: Kaum waren
die Jubelschreie 1934 verklungen, entbrannte ein hefti-
ger Streit zwischen polnischen und deutschen Zeitungen
darüber, ob denn die mehrheitlich aus Ostpreußen stam-
menden, in Gelsenkirchen geborenen Schalker Spieler nun
„Polen“ oder „Reichsdeutsche“ seien.
Reichlich Stoff für eine Ausstellung also. Der Politikwis-
senschaftler Daniel Huhn und der Sozialwissenschaftler
Stefan Metzger hatten schon 2011 die Idee, entwickelten
mit Museumsleiter Dietmar Osses ein Konzept und fan-
den mit dem Dokumentationszentrum und Museum über
die Migration (Domid), dem Fonds Soziokultur und der
DFB-Kulturstiftung die passenden Förderer. Schließlich ist
das Thema Integration auch und gerade für den DFB und
seine Vereine seit Jahren ein zentrales Zukunftsthema, do-
kumentiert u. a. durch den seit 2007 jährlich vergebenen
DFB-Mercedes-Benz-Integrationspreis.
Region im Wandel:
Auf die „Ruhrpolen“ folgen die
„Gastarbeiter“
Die Ausstellung schlägt einen Bogen von den 20er-Jahren
bis in die Gegenwart. Unter den 150 Exponaten befinden
sich auch Bilder, Trikots und Medaillen von Ernst Kuzor-
ra und Mesut Özil. Zwei Spieler, die auf den ersten Blick
Welten trennen. Kuzorra, geboren 1905, arbeitete noch als
Bergmann. Weltmeister Özil ist Star in den sozialen Netz-
werken. Dennoch: Beide wurden in Gelsenkirchen geboren,
waren Fußballidole ihrer Zeit und stammen aus Zuwande-
rerfamilien. Kuzorras Eltern kamen aus Masuren, die Özils
verließen die türkische Schwarzmeerküste und fanden ihr
neues Zuhause im Ruhrgebiet.
Fußball und Migration
haben nach Kohle und
Stahl das Leben im
alten Ruhrgebiet
am meisten geprägt.
Fritz Pleitgen,
Kurator der DFB-Kulturstiftung