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marktet. Aus diesem Geben und Nehmen können wichtige

Synergieeffekte entstehen. So schreibe ich beispielsweise

seit der Saison 2012/13 für das Mitgliedermagazin des FCK

eine Serie von Artikeln über die ehemaligen jüdischen

Vereinsmitglieder und deren Schicksal im „Dritten Reich“.

Auch unsere Frauenfußballtagung 2011 setzte wichtige

Impulse. Meine Zeitzeugen-Gespräche mit „Roten Teufe-

linnen“ aus den Anfangsjahren hatten zur Folge, dass sich

viele Spielerinnen nach über vierzig Jahren zum ersten

Mal wiedersahen. Sie organisieren derzeit ein Treffen

auf dem Betzenberg. Ist es nicht großartig, wenn das ein

unbeabsichtigter Nebeneffekt der sporthistorischen For-

schung ist?!

Wer Fußball in einer traditionsreichen Akademie neben

Aristoteles, Wittgenstein und der Geschichte des Schel-

menromans unterbringt, muss schon echter Fan sein.

Wie muss man sich den „Fußballer“ Markwart Herzog

vorstellen? Als Spieler beim TV Irsee vielleicht?

Nein, gewiss nicht, dafür bin ich mit meinen 57 Jahren

schon zu alt. Mein Interesse gilt der Geschichte, nicht der

Praxis des Fußballsports. Und vielleicht muss ich Sie jetzt

enttäuschen: Es ist kein Fußballverein, sondern der Rin-

ger-Club TSV Westendorf in der Nähe von Irsee, dessen

Heimkämpfe in der 2. Bundesliga ich regelmäßig besu-

che. Die Ästhetik des Ringens fasziniert mich mindestens

ebenso wie die des Fußballspiels. Nach einem Ringkampf

ist meine Stimme jedenfalls stärker angegriffen als nach

einem Fußballspiel – was meine Frau mit sehr gemischten

Gefühlen sieht.

Wie sehen Sie ganz allgemein die Rolle von Fußball und

Geschichtswissenschaft in Deutschland?

Die Sportwissenschaft hat sich, abgesehen von Michael

Krüger von der Universität Münster, weitgehend von der

Sportgeschichte verabschiedet. Hier zählt, vereinfacht

gesagt, nur noch Trainings- und Ernährungswissenschaft.

Kein Wunder, dass die wichtigen Veröffentlichungen zur

Fußballgeschichte heute von Allgemeinhistorikern stam-

men, vor allem Wolfram Pyta und Nils Havemann von der

Universität Stuttgart. Warum? Weil sie es als einzige schaf-

fen, interessante Forschungsprojekte aufzulegen und auch

die nötigen Drittmittel einzuwerben.

Und die Rolle der Schwabenakademie?

Wir sind die einzige Institution in Deutschland, die regelmä-

ßig und mit hohem wissenschaftlichem Anspruch solche

Konferenzen über Fußballthemen anbietet. Natürlich kom-

pensieren wir damit einen universitären Mangel, haben aber

gleichzeitig auch geholfen, die Fußballgeschichte über ihr

Mauerblümchen-Dasein hinaus zu einem ernst zu nehmenden

Forschungsfeld zu entwickeln. Der Bonner Historiker Dittmar

Dahlmann schrieb vor einiger Zeit, dass wir ein „Pionier der

Verwissenschaftlichung“ der Fußballgeschichte seien.

Seit Jahren boomt der Markt mit populären Vereins-

und Spielermonografien. Ihre Meinung zu dieser Form

der „Fußballgeschichtsschreibung“?

Grundsätzlich sehe ich das positiv. Allerdings sträube ich

mich als Historiker dagegen, wenn Legenden und Mythen

gestrickt werden, wie zum Beispiel die, dass Schalke 04 bis

weit ins 20. Jahrhundert eine Arbeitermannschaft gewesen

sein soll. Christoph Biermann hat dazu das Stichwort von

der „Malocherlüge“ geprägt. Oder wenn ich lese, dass der

Nationalspieler und Arisierungsprofiteur Matthias Sindelar

aus Wien ein Mann des Widerstands gewesen sei. Da kann

man sich bei Georg Spitaler eines Besseren belehren lassen.

Wenn die von Ihnen angesprochene „populäre Fußballge-

schichtsschreibung“ die aktuelle Forschung rezipiert, sollte

sie vor solchen Mythen der Sportgeschichte geschützt sein.

Und wäre eine große Bereicherung der Publizistik.

Wer ist Ihr Publikum? Kommen auch „normale“ Fußball-

fans nach Irsee?

Ja, viele, darunter oft echte Fachleute, die selbst einen

Vortrag halten könnten: Führungskräfte von Fußballmu-

seen und -archiven, Studierende, die an Abschlussarbei-

ten sitzen, aber auch Journalisten aus Rundfunk, TV- und

Printmedien, die gleichsam Wissen tanken möchten.

Bei der Tagung über Frauenfußball waren zum Beispiel

auch aktive Spielerinnen da. Zur Tagung über die deutsch-

israelische Fußballfreundschaft kam eine 88-jährige Dame,

eine begeisterte FCK-Anhängerin, zusammen mit einer et-

was jüngeren Begleiterin, die für ein Flüchtlingsprojekt in

ihrem Heimatverein den Kontakt zum DFB suchte. Letztlich

ist es in Irsee ein bisschen wie im Stadion: eine bunte und

sehr heterogene Mischung von Menschen, die den Fußball

lieben. Und so soll es auch sein.